EINLEITUNG
Um das Myokard während eines Eingriffes am kardiopulmonalen Bypass sowohl zu schonen, als auch die Operation zu vereinfachen und die operativen Ergebnisse zu verbessern, wird der kardioplegische Herzstillstand induziert [1]. Eine in Deutschland verbreitete Methode für eine sichere Kardioplegie ist die kristalloide HTK Custodiol-Lösung. Diese ist für die verschiedenen Anwendungen in Beuteln verschiedener Größen erhältlich, in Deutschland auch in Flaschen, welche jedoch international nicht vertrieben werden.
Während der Lagerung von Custodiol in Glasflaschen können sich Silikonpartikel aus der Beschichtung der in den 500 und 1000 ml Glasflaschen verwendeten Brombutylstopfen lösen und als sichtbare Partikel in der Lösung ausfallen. Mit dem „Rote- Hand-Brief“ der Dr. Franz Köhler Chemie GmbH in Kooperation mit dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 27.09.2022 wurde für die Anwendung von Custodiol ein 15 µm Filter vorgeschrieben [2].
Durch das Anbrechen oder Anstechen von Ampullen und Beuteln/Flaschen gelangen Mikroschwebstoffe in Form von Glassplittern, Gummi- und Kunststoffpartikeln in die zu verabreichenden Lösungen.
Diese stören die Mikrozirkulation im Kapillarstromgebiet, was Einfluss auf die Organfunktion haben kann.
Daher entspricht es der guten klinischen Praxis, zum Aufziehen von Arzneimitteln und bei Verabreichen von Flüssigkeiten Filter mit Porengrößen zwischen 0,2–15 µm zu verwenden [3–6].
Bei dem Einsatz von Kardioplegiesystemen während der extrakorporalen Zirkulation (EKZ) wird in der Regel auf feinporige Filter mit Porengrößen unter 40 µm verzichtet, da diese bei der Beimischung von Blut verstopfen würden. Daher ist es erforderlich, kristalloide Lösungen vor dem Einbringen in das extrakorporale System, und hier im Speziellen in das Kardioplegiesystem, zu filtern [3]. Wer Custodiol in Flaschen weiterhin anwendet, muss die Vorgaben des BfArM einhalten.
Die Kinderherzchirurgie Erlangen hat seit Jahren die Applikation kristalloider Kardioplegie über ein gefiltertes Infusionssystem etabliert. In der Kinderherzchirurgie sind maximale Applikationsflussraten für Kardioplegie in Bereichen zwischen 150–200 ml/min zu erwarten. In der Myokardprotektion von erwachsenen Patienten sind hingegen Applikationsraten von 300–400 ml/min klinisch etablierte Praxis [7].
Filtersysteme mit Porengrößen unter 40 µm für die arterielle oder coronare Infusion von kristalloiden Flüssigkeiten im Rahmen der EKZ sind nicht erforscht. Allgemein bekannt und klinisch etabliert sind beispielsweise gefilterte Kanülen zum Aufziehen von Medikamenten oder Luftabscheider mit Filtermembran für die Anwendung an zentral venösen Kathetern [8, 9]. Für die schnelle Applikation von Flüssigkeiten sind beide Optionen absolut ungeeignet, insbesondere für Flussraten, die zur Induktion des kardioplegischen Herzstillstands notwendig sind. Zuleitende Systeme an extrakorporalen Kreisläufen bestehen hingegen oftmals aus ungefilterten Anstechdornen oder zwischengeschalteten Tropfkammern mit 200 µm Netzfiltern, um sich die Option der Wahl zwischen kristalloider oder Blutkardioplegie offenzuhalten.
Die offene Frage: Lassen sich die Vorgaben des BfArM mit am Markt verfügbaren, gefilterten Infusionssystemen erfüllen, ohne dabei durch signifikante Nebenwirkungen oder Lufteintrag in die verabreichte Kardioplegielösung kompromittiert zu werden?
In der vorliegenden In-vitro-Untersuchung wurde die Machbarkeit der gefilterten Applikation in der klinischen Praxis, bedingt durch die angeordnete Verwendung eines 15 µm Filters bei der Verwendung von Custodiol aus Glasflaschen untersucht. Der Fokus der Versuche lag auf der Unterdruckerzeugung bei der Entnahme der Lösung aus den Glasflaschen sowie der daraus entstehenden Mikroblasengeneration. Die zugrundeliegende Überlegung ist dabei, dass bei hohen Flüssen oder hohem Sog die Mikroblasenentstehung zunimmt und die entstehenden Mikroblasen selbst, als quasi partikuläre Embolien, den Nutzen des 15 µm Filters für das Myokard negieren können.
MATERIAL UND METHODEN
Aufbau
Der In-vitro-Aufbau erfolgte auf einer S5 HLM (LivaNova, München, Deutschland). Als Pumpensegment zur aktiven Applikation von Kardioplegie wurden Silikonschläuche der üblicherweise in der klinischen Anwendung befindlichen Durchmesser 1/8″, 3/16″ und 1/4″ in einer S85 Doppelkopfrollenpumpe untersucht. Die Kardioplegiesysteme entsprechen den alltäglich in der Klinik angewandten Schlauchsets des UK Erlangen [10].
In den Aufbauten 1/8″ und 3/16″ (Abb. 1: linke Darstellung – [L]) wird vor der Kardioplegiepumpe ein Infusionssystem (Intrafix Primeline, ohne Ventil, 180 cm, 4062981L, BBraun, Melsungen, Deutschland) mit einem 15 µm Filter in der Tropfkammer an einem High-Flow-Dreiwegehahn angeschlossen. Dieser entspricht dem Messpunkt P1 (Ansaugdruck). Nach der Kardioplegiepumpe führt ein 1/8″-PVC- Schlauchelement auf einen weiteren High-Flow-Dreiwegehahn an das Kardiotomiereservoir. Hier liegt der Messpunkt P2 (Applikationsdruck). Von dort wird die Kardioplegielösung über eine 150 cm lange Kardioplegietischlinie zu einer 9 Fr. Aortic Root Kanüle (20012S; Medtronic, Minneapolis, USA) geführt. Am Luer-Lock-Ansatz befindet sich der Messpunkt P3 (Kanülenapplikationsdruck).
Bei dem System mit 1/4″-Pumpensegment erfolgt im Aufbau A (Abb. 1: rechts oben – [RO]) das Anstechen der Custodiol Glasflasche über eine 1/4″-PVC-Linie (1/4″ X 1/16″, Raumedic, Helmbrechts, Deutschland) mit 5 µm Pre-Bypass-Filter (LivaNova, Mirandola, Italien) (Abb. 2). Zwischen der Pumpe und dem Reservoir befindet sich eine Tropfkammer. Die verbindenden Schläuche sowie die Tischleitung haben den Durchmesser 3/16″. In Variation dieses Aufbaus wurden in Variante B (Abb. 1, rechts unten – [RU]) zwei Infusionssysteme an einem High-Flow-Dreiwegehahn vor der Pumpe angeschlossen.
Zur Mikroblasenmessung mit dem Bubble Counter 200 (Gampt, Halle, Deutschland) wurde der Aortic Root Kanüle ein Silikonschlauch mit dem Durchmesser 3/16″, übergehend in 1/4″, nachgeschaltet (Abb. 1 – [L], [RO], [RU]).


Versuchsdurchführung
In den Aufbauten 1/8″ und 3/16″ (Abb. 1 – [L]) wurden jeweils konsekutive Messreihen vorgenommen. Die Kardioplegie wurde dabei in Flussstufen von 50 ml/min jeweils für ca. 12 s, bis zu Flüssen von 400 ml/ min (1/8″) beziehungsweise 450 ml/min (3/16″) appliziert. Für die 1/4″-Aufbauten (Abb. 1 – [RO] & [RU]) wurden 100 ml/min Inkremente bis zu einem Spitzenfluss von 600 ml/min verwendet.
Zur Validierung des Aufbaus erfolgte jeweils initial eine Versuchsdurchführung mit Vollelektrolytlösung (Jonosteril, Fresenius Kabi, Bad Homburg, Deutschland) bei Raumtemperatur. Die Versuchsdurchläufe mit kalter Custodiol-Lösung erfolgten in jeweils eigenen Messreihen aus je 500 ml und 1 l Glasflaschen.
Die Erfassung der Mikroblasenaktivität erfolgte über zwei Messsensoren, die auf den Messbereich bis 250 µm eingestellt waren.
Der Schwerpunkt der Analyse lag auf der Druckentwicklung in Relation zu den angelegten Flüssen. Dazu wurden an dem Dreiwegehahn vor der Kardioplegiepumpe (P1), nach der Kardioplegiepumpe, vor der Kardioplegietischlinie (P2) und zuletzt direkt vor der Kardioplegiekanüle (P3) die entstehenden Drücke erfasst. Zu den einzelnen Messungen wurde am Kardioplegiemodul zunächst die Rezirkulation deaktiviert. An der Kardioplegiepumpe wurde die erforderliche Drehzahl eingestellt und mit dem Button „Verabreichen“ startete die Messung der Applikation für 10 bis 12 s. Die erzeugten Druckwerte wurden protokolliert und die Pumpe gestoppt. Im Anschluss wurde das nächste Inkrement bei stehender Pumpe eingestellt.
Ergebnisse
Bei allen untersuchten Aufbauten zeigte sich, dass mit zunehmender Applikationsrate der Unterdruck (P1) zunimmt. Bei erhöhter Verabreichungsrate steigen die Applikationsdrücke P2 und P3 an (Tabelle 1–3, Tabelle 2 siehe Supplement doi: https://doi.org/10.47624/kt.032.CVVZ7588). Für die 1/8″ und 3/16″-Messreihen (Abb. 1 [L]) steigt die Mikroblasenaktivität mit Applikationsflüssen über 250 ml/min an (Messwerte 3/16″ im Supplement https://doi.org/10.47624/kt.032.CVVZ7588: siehe auch Tabelle 2 und Abbildung 4).



Im Versuchsaufbau 1/4″ – A mit dem 5 µm Filter (Abb. 1 [RO]) sieht man in den Flussbereichen über 400 ml/min keine Mikroblasenaktivität vor der Pumpe (venöser, [blau gefärbter] Messkanal). Die optisch beobachteten Blasen waren mehrere Millimeter groß und lagen damit über dem Messbereich der Sonde. Da diese Blasen, in Relation zum Schlauch, zu groß waren, kam es zu dem Phänomen der Totalreflexion zwischen Ultraschallsonde und Messmedium, sodass diese nicht mehr als Überläufer registriert wurden (Abb. 5).

Abb. 6 zeigt das Mikroblasenaufkommen im Versuchsaufbau 1/4″– B (Abb. 1 – [RU]), mit zwei gefilterten Infusionssystemen vor der Kardioplegiepumpe. Dies entspricht dem aktuellen Aufbau zur Kardioplegiegabe in Erlangen bei MIC-MKR. Ein Anstieg der arteriellen Mikroblasenaktivität wurde bei Flussbereichen über 500 ml/min beobachtet. Die Peaks zuvor gemessener arterieller Mikroblasen wurden als Messfehler wegen Manipulation am Messaufbau oder durch verbleibende Blasen in der Leitung nach Ausgasen registriert.

DISKUSSION
Die Messdaten umfassen die in der Erwachsenen- und Kinderherzchirurgie gängigen Flussraten für Kardioplegie [7] und demonstrieren die Durchführbarkeit der Gabe kristalloider Kardioplegie auch aus Glasflaschen mit einem gefilterten System.
Die Zunahme des Sogs vor der Pumpe folgt bekannten physikalischen Gegebenheiten, indem der Sog bei zunehmendem Fluss durch Schläuche mit einheitlichem Durchmesser ansteigt. Dies kann, bedingt durch die zunehmende Mikroblasenaktivität, als Grenzwert für die jeweiligen Applikationsraten herangezogen werden, da Mikroluftblasen selbst embolisch wirken [11]. Dies gilt insbesondere in Tropfkammern, in denen ein Teil dieser eingebrachten Blasen aus der Gasphase durch die hohen Flussraten mitgerissen werden. Da diese Blasen sich dementsprechend mehrheitlich aus atmosphärischem Stickstoff zusammensetzen, können diese im Endothelbett kaum resorbiert werden [11, 12]. Für die Aufbauten mit 1/8″- und 3/16″-Pumpensegmenten mit einem vorgeschalteten Infusionssystem liegt der Grenzfluss bei etwa 250 ml/min. Es können mit 1/4″-Pumpensegmenten Flüsse über 500 ml/min erreicht werden, wenn zwei Infusionssysteme über einen High-Flow-Dreiwegehahn als Zuleitung verwendet werden.
Bei Verwendung einer 1/4″-Zuleitung mit feinporigerem 5 µm Filter und größerem 1/4″-Lumen war eine höhere arterielle Mikroblasenaktivität distal der Kardioplegiekanüle zu verzeichnen, obwohl der Kardioplegiepumpe eine Tropfkammer nachgeschaltet ist. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Tropfkammern bei relativ hohen Flüssen die bereits im Blutstrom befindlichen Luftblasen nicht durch Aufsteigen der Blasen zurückhalten können. Analog verhält es sich bei venösen Reservoiren mit niedrigem Füllstand im Verhältnis zu den in der Tropfkammer sehr hohen Flüssen [13, 14]. Weiterführende Literatur, die explizit den Wirkungsgrad der Luftblasenelimination durch Tropfkammern in extrakorporalen Kreisläufen untersucht, wurde nicht gefunden.
Die Größe der Luftblasen in der Zuleitung im Versuchsaufbau 1/4″ – A lässt sich durch den gewählten Ablauf erklären. Während der Pause durch die Einstellungsänderungen an der Pumpe können sich kleine Luftmengen im Filtergehäuse sammeln und größere Blasen bilden, die im nächsten Versuch mit angesaugt werden.
Die Verwendung unterschiedlich großer Entnahmegefäße (Glasflaschen 500 ml vs. 1000 ml) mit resultierend unterschiedlicher Kapazität für die Unterdruckentwicklung zeigte in den untersuchten Bereichen keinen Einfluss.
Die Aufbauvalidierung mittels Vollelektrolytlösung (VEL) bei Raumtemperatur zeigte in den Messreihen vergleichbare Drücke hinter der Pumpe. Der Sog stieg bei VEL weniger deutlich an als bei den Messreihen mit Custodiol. Dies hatte dabei aber keinen Einfluss auf die detektierten Mikroluftblasen. Daher scheint die Art der Lösung und des Entnahmegefäßes nicht der limitierende Faktor zu sein, sondern das verwendete Filtersystem und insbesondere die Größe und Präsenz einer Tropfkammer.
In einem unveröffentlichten Vorversuch wurde im Aufbau 1/8″ ein Infusionssystem mit Rückschlagventil vermessen. Dies erhöhte den Sog vor der Applikationspumpe bereits bei 300 ml/min auf -192 mmHg und die angenommene Applikationsgrenze lag damit um 100 ml/min niedriger als das Vergleichssystem. Zudem verhindert das Rückschlagventil den retrograden Füllvorgang und findet daher in der Kinderherzchirurgie Erlangen keine Anwendung. Die Mikroblasenaktivität wurde hierbei nicht gemessen.
LIMITATIONEN
Für die Applikation der Kardioplegielösung wurde kein validiertes Modell zur Simulation des Widerstandes unterschiedlich großer Koronarien verwendet. Da der Fokus auf der Entnahme kristalloider Kardioplegie aus Glasflaschen lag, werten wir dies als vernachlässigbaren Faktor.
Bias des Versuchsmodells ist die mit ca. 12 s nur kurz gewählte Applikationsdauer. Der Fokus lag auf der Beobachtung der Drücke und deren Dokumentation sobald die Werte stabil waren. Damit wurde keine minutenlange Gabe bei den verschiedenen Flusseinstellungen vorgenommen. Hierdurch können sich Blasen, die sich im Schlauchsystem bei vorherigen Pumpeneinstellungen gebildet oder abgelagert haben, lösen und bei höheren Flüssen eine zunehmende Mikroblasenaktivität suggerieren.
FAZIT
Die Verwendung gefilterter Infusionssysteme zur Applikation der Custodiol-Kardioplegielösung kann, unter Beachtung der ermittelten Flussgrenzen und bei Verwendung der richtigen Zuleitungen, sicher erfolgen. Dies gilt sowohl im niedrigeren Flussbereich pädiatrischer Fälle als auch in den höheren Flussbereichen, wie sie in der Erwachsenenherzchirurgie Anwendung finden. Angesichts des hohen Lufteintrags über die improvisierte, größerlumige Zuleitung mit 5 µm-Pre-Bypass-Filter ist trotz nachgeschalteter Tropfkammer die Verwendung kommerziell
verfügbarer Infusionssysteme mit integriertem 15 µm Filter vorzuziehen.
INTERESSENKONFLIKTE
Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen, die in Zusammenhang mit der vorliegenden Publikation stehen.
DANKSAGUNG
Wir danken der Firma Dr. Franz Köhler Chemie GmbH für die kostenlose Bereitstellung der zur Versuchsdurchführung notwendigen Kardioplegielösung in 0,5 l- und 1 l-Flaschen. Das Unternehmen hatte darüber hinaus keinen Einfluss auf das Studiensetup, die Interpretation der Ergebnisse oder die Publikation.