Einleitung
Schlauchsysteme für die extrakorporale Zirkulation (EKZ) werden in der Regel in engem zeitlichen Zusammenhang zu der anstehenden Herz-OP aufgebaut und entlüftet. Die Sterilität und Verwendung dieser Sets werden allgemein nicht in Frage gestellt. Für die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO), als Unterkategorie des Extracorporeal Life Supports (ECLS) [1], werden im klinischen Alltag und gemäß den geltenden Leitlinien aufgebaute und gegebenenfalls entlüftete Sets vorgehalten [2,3].
Verschiedene Szenarien sind denkbar, die dazu führen, dass die vorbereiteten EKZ-Schlauchsysteme nicht direkt verwendet werden. Zudem fordert die Leitlinie des European Board of Cardiovascular Perfusion zum kardiopulmonalen Bypass die ständige Bereithaltung eines vorbereiteten EKZ-Systems für zeitkritische Notfälle [3]. Die Frage ist in diesen Fällen: Wie ist nach dem Ablauf von 24 Stunden vorzugehen? Nach dem Verständnis der klinischen Praxis sind spätestens jetzt angesetzte Medikamente zu verwerfen.
Dies ist für EKZ-Systeme kein Regelfall. Nicht nur trüge dies zu einer erheblichen Steigerung des von Krankenhäusern produzierten Mülls und den damit verbundenen Kosten und Belastungen für die Umwelt bei, auch die Kosten für den Ersatz funktionstüchtigen Materials, welches ohne Zwang verworfen wird, nähmen zu [4]. Wiederholt auftretende Lieferkettenunterbrechungen sowie teils erhebliche Einschränkungen der Verfügbarkeit von Verbrauchsgütern und nicht zuletzt damit verbundene Kostensteigerungen müssen kompensiert werden [5,6]. So sehr der Wunsch aller Hygieneabteilungen und Budgetverantwortlichen nach einer Just-in-time-Verwendung jeglicher EKZ-Systeme und Medikamente bei minimaler Lagerhaltung zu verstehen ist, so wenig ist dies im klinischen Alltag praktikabel oder ohne Unterbrechung der Versorgung möglich. Notfälle, welche den unmittelbaren Einsatz von kardiopulmonalen Unterstützungssystemen auch außerhalb des Operationssaals und der regulären Arbeitsbedingungen erfordern, gehören zum Alltag.
Regelmäßig wird dabei diskutiert, welchen Einfluss die Konnektionsvorgänge beim Aufbau sowie die Standzeit offener oder geschlossener Systeme auf die Sterilität haben und inwiefern die Gasaustauschleistung durch die verlängerten Primingzeiträume betroffen ist.
Verschiedene Arbeitsgruppen haben sich daher mit der Frage beschäftigt: Wie lange können aufgebaute, offene Schlauchsets auf Herz-Lungen-Maschinen (HLM) oder geschlossene Sets auf ECMO-Konsolen noch ohne größeres Kontaminationsrisiko verwendet werden [4,7-18]?
Neben der Suche nach dem Stand der aktuellen Evidenz soll mit dieser Literaturrecherche auch eine Umfrage zum Ist- Stand in den kardiotechnischen Abteilungen in Deutschland begleitet werden.
Darüber hinaus soll eine Argumentationshilfe für Perfusionist:innen geschaffen werden, die in Diskussionen um Kosten und Hygiene auf Aussagen verweisen möchten, welche klinischer Forschung entstammen.
Methode
Mit den verknüpften Suchtermini sterility AND prime AND extracorporeal“ wurde eine PubMed-Datenbankabfrage durchgeführt, um relevante Literatur zu identifizieren. Zitierte Quellen, die nicht in der ersten Suchabfrage repräsentiert waren, wurden als Sekundärliteratur identifiziert.
Ergebnis
Zwischen den Jahren 1997 und 2022 wurden 21 Publikationen identifiziert, wovon 13 einen Bezug zur Fragestellung haben. Sechs Publikationen befassen sich mit EKZ-Systemen und sechs ausschließlich mit ECMO. Die neueste Publikation von Deptula et al. [18] hat beide Bereiche abgedeckt. Die Resultate werden getrennt nach offenen und geschlossenen Systemen aufgeführt und in Tabelle 1 dargestellt.

Offene EKZ-Systeme
Die aktuell umfangreichste Untersuchung offener Systeme stammt von Deptula et al. (2021) [18] und baut auf den Erkenntnissen der zuvor publizierten Daten [7-9,14,16] auf. In Abbildung 1 sind die untersuchten Zeiträume nach Publikationsjahr dargestellt.
Es wurden jeweils drei EKZ-Schlauchsysteme für 0, 3, 7 und 30 Tage trocken aufgebaut. Jeweils für fünf Tage blieben die Systeme dann kristalloid gefüllt und wurden dabei täglich beprobt. Abschließend erfolgte die Zugabe gewaschener Erythrozytenkonzentrate, um in 24 Stunden vier Gas-Transfer-Tests durchzuführen. Bei jeweils einem der drei aufgebauten Systeme ist eine Kontamination mit Escherichia coli-Kulturen vorgenommen worden.
Mit Ausnahme der aktiv kontaminierten Schlauchsysteme gab es keine Hinweise auf Einschränkungen der Sterilität oder einer Verminderung der Gasaustauschleistung nach bis zu 30 Tagen trockener Lagerdauer und fünf Tagen in gefülltem Zustand [18].
Diese Erkenntnis zeigt sich auch in den Vorarbeiten von Searles et al. (1999) [9] sowie Schulz-Stübner et al. (2014) [14], die ihre Systeme für drei Tage ohne vorherige trockene Lagerung geprimt stehen ließen. Längere Standby-Zeiten entlüfteter Systeme haben nur Tagaya et al. (2016) [16] mit sechs Tagen und Young et al. (1997) [7] für sieben Tage untersucht.
Lonský et al. (1998) [8] untersuchten zuvor konsekutiv 100 EKZ-Systeme, die nach 19 bis 89 Stunden trockener Standzeit entlüftet und nach fünf Minuten Rezirkulation beprobt wurden. In keiner der untersuchten Proben wurden mikrobielle Kontaminationen festgestellt.
In einer Publikation von Witschi et al. (2003) [4], welche von Deptula et al. nicht zitiert ist, wurde die Sterilität offener EKZ-Sets für drei Tage untersucht. Auch hier fand sich kein Bakterienwachstum, welches nicht auf eine Kontamination bei der Probenentnahme zurückzuführen war.

Geschlossene Kreisläufe
Die beiden Publikationen aus dem Feld der ECMO-Behandlung mit den längsten untersuchten Standzeiten sind gleichzeitig die aktuellen und bauen auf zuvor gewonnenen Erkenntnissen auf [17,18].
Die umfangreiche Untersuchung von Deptula et al. (2021) [18] lässt dabei die ECMO-Sets für 42 Tage nass geprimt, nachdem je drei Sets in drei Gruppen 0, 30 und 60 Tage trocken aufgebaut waren. In jeder Gruppe wurde wieder ein System mit E. coli kontaminiert. Abgesehen von dieser absichtlichen Kontamination gab es bis zum spätesten Untersuchungszeitpunkt nach insgesamt 102 Tagen keine Hinweise auf bakterielles Wachstum. Die untersuchte Gasaustauschfunktion war nicht beeinträchtigt.
Dem voraus ging die Untersuchung von Tan et al. (2018) [17] mit einer Untersuchung über 65 Tage nasser Lagerung, wobei das Priming direkt nach dem Aufbau vorgenommen wurde. In den Proben wurde bis zum Ende der Untersuchung kein Wachstum von Bakterien oder Pilzen beobachtet.
Die zuvor durchgeführten Untersuchungen von Weinberg et al. (2015) [15] zeigten bis zum Studienendpunkt von vier
Wochen kein bakterielles Wachstum in den entlüfteten ECMO-Kreisläufen.
Naso et al. (2013) [13] haben in sechs bei 37 °C warm gelagerten ECMO-Systemen auch nach 35 Tagen und bei wöchentlicher Beprobung kein Bakterienwachstum nachweisen können. Zwei vorsätzlich kontaminierte Kreisläufe zeigten gegen Ende des Untersuchungszeitraums einen Rückgang der keimbildenden Einheiten. Eine durchgeführte Rezirkulation hatte keinen Einfluss auf das ohnehin nicht vorhandene Bakterienwachstum.
In früheren Publikationen haben Bistrussu et al. (2004) [10], Karimova et al. (2005) [11] und Walzcak et al. (2005) [12] für ihre untersuchten Lagerungszeiträume von 14 bzw. 30 Tagen bei geprimten ECMO-Kreisläufen ebenfalls kein bakterielles Wachstum nachweisen können. Die an mikroporösen Hohlfasermembranoxygenatoren durchgeführte Untersuchung von Walczak et al. zeigte, im Vergleich zu den direkt nach Aufbau getesteten Oxygenatoren, einen moderaten Rückgang der Gasaustauschrate der mit kristalloider Flüssigkeit gefüllten und für 30 Tage gelagerten Oxygenatoren, allerdings sind diese nicht regulär als ECMO-Oxygenatoren im Einsatz [12].

Diskussion
Die Forschung zu Standzeiten gefüllter Systeme folgt weitgehend den klinischen Bedürfnissen und Entwicklungen, was sich in den untersuchten Zeiträumen jeweils deutlich widerspiegelt.
Für offene EKZ-Kreisläufe steht die Frage im Raum: Wie soll mit einem vorbereiteten, aber nicht verwendeten System umgegangen werden? Regulär ist die Taktung elektiver Eingriffe eng genug, sodass keine lange Lagerung erforderlich ist und der längste Zeitraum, der regelmäßig in Frage kommt, Wochenenden und Feiertage umfasst, in denen gegebenenfalls keine Eingriffe stattfinden. Vor diesem Hintergrund sind die weitgehend gleichbleibenden Untersuchungszeiträume offener und entlüfteter EKZ-Schlauchsysteme auch in der 2019 publizierten S3-Perfusionsleitlinie als Konsensus-Empfehlung mit 72 Stunden hinterlegt [3].
Für geschlossene Kreisläufe ist die Fragestellung im Laufe der Jahre mitgewachsen, wie der zuweilen zeitkritische Vorlauf bis zur Etablierung des extrakorporalen Kreislaufs verkürzt werden kann [13]. Mit der zunehmenden Proliferation des ECMO-Verfahrens steht die Frage nach der Vorhaltung auch für Zentren im Vordergrund, die nur geringe Fallzahlen vorweisen. Kosten für vorzeitig verworfene Schlauchsysteme stellen nämlich eine Einschränkung der Verfügbarkeit dar [13,19].
Eine selten untersuchte Frage ist die nach dem Auswaschungsverhalten von Weichmachern und Beschichtungen in den verwendeten Materialien. Während Silikon für medizinische Zwecke ohne zugesetzte Weichmacher in seiner Härte durch unterschiedlich starke Polymerisation variiert werden kann, kommen in vielen Bereichen PVC-Schläuche mit notwendigerweise zugesetzten Weichmacheranteilen von bis zu 40 % zur Anwendung. Weit verbreitet ist DEHP aus der Gruppe der Phthalate. Diese sind nicht kovalent an PVC gebunden und können deshalb in Flüssigkeiten, die in Kontakt mit dem PVC stehen, migrieren [20]. Horne et al. konnten zeigen, dass insbesondere kolloidale Flüssigkeiten hier eine höhere Auswaschung mit sich bringen, während kristalloide Lösungen sehr viel kleinere bis keine Aufnahme von Weichmachern zeigen [21]. Explizite Untersuchungen zum Verhalten und Auswirkungen auf Oberflächenbeschichtungen fehlen zu diesem Zeitpunkt.
Die Hersteller von Schlauchsystemen und Oxygenatoren machen in den Anwendungshinweisen ihrer Produkte explizit keine Angaben. Die Hersteller der zum Priming verwendeten Medikamente sehen wiederum eine direkte Anwendung nach Vorbereitung vor. Hier ist von den Leitliniengremien eine Abwägung getroffen worden. Eine entsprechende Empfehlung zur Verwendung bereits geprimter Kreisläufe nicht über 30 Tagen ist in der ELSO-Leitlinie hinterlegt. Dies wird durch die zum damaligen Zeitpunkt publizierten Daten entsprechend untermauert [22]. Die unter Führung der AWMF erstellte S3-Leitlinie ECLS/ECMO von 2020 spricht lediglich die Empfehlung aus, ein ECLS-System in gefülltem Zustand bereitzuhalten, ohne dabei ein Limit für die Bereitstellungszeit festzulegen [2].
Eine Vorgabe ist, dass während des Aufbaus und des Primings nach den anerkannten Hygienevorgaben gearbeitet wird. Im Bereich offener EKZ-Systeme können mögliche Kontaminationen durch einen Pre-Bypass-Filter eliminiert werden. Nachdem selbst in Untersuchungen über 65 Tage mit regelmäßiger Manipulation der Systeme keine Kontaminationen nachgewiesen werden konnten, ist diese Vorgabe offenbar gut zu erfüllen [17]. Selbst wenn die Systeme in einer 37 °C warmen Umgebung abgestellt werden, kommt es zu keinem Wachstum. Auch gibt es keine Hinweise auf Unterschiede zwischen rezirkulierenden oder in Stase abgestellten Systemen [13].
Eine Empfehlung aus der Publikation von Schulz-Stübner et al., die oftmals in den Hintergrund rückt, ist die Desinfektion von Touch-(Bedien-)Flächen vor der Benutzung. Es wird insgesamt ein größerer Fokus auf das Hygienebewusstsein angemahnt, auch im Herz-OP [14]. Eine klare Beschriftung an den Sets ist zur Einhaltung der getroffenen Vorgaben nötig.
Schlussfolgerung
Es gibt bis dato keine Hinweise auf eine Verkeimung von offenen oder geschlossenen extrakorporalen Schlauchsystemen durch die Entnahme aus der sterilen Verpackung und den Aufbauvorgang. Die Lagerdauer hat bei Beachtung der anerkannten Regeln zum keimfreien Arbeiten keinen Einfluss auf die Sterilität der im klinischen Alltag vorbereiteten Schlauchsets von HLM- oder ECMO-Konsolen. Eine relevante Einschränkung der Gasaustauschfunktion von Oxygenationsmembranen konnte nicht gezeigt werden. Die realen Standzeiten in der praktischen Anwendung liegen dabei regelmäßig unter den publizierten Untersuchungszeiträumen.
Dennoch bleiben einige Fragen weiterhin ungeklärt:
- Ab wann startet die Zulassung eines Systems –
- mit Anschluss an den Patienten,
- mit dem Entlüften des Systems oder
- mit dem Öffnen der Verpackung?
- Dabei ist der Standort des Systems relevant – die Umstände der Umgebung eines vorbereiteten Systems sind durchaus verschieden:
- steht ein ECLS-System vorbereitet im OP-Bereich in einem abgeschlossenen Raum, oder
- steht es in der Notaufnahme,
- oder im „Durchgangsverkehr“?
- Wie sind die Flow- und Gaseinstellungen des Systems?
- Ist ein Wasserkreislauf an den Wärmetauscher des Oxygenators angeschlossen?
Diese und weitere Fragen können in weiteren Arbeiten noch genauer betrachtet werden.
Ethik
Als Literaturarbeit ohne direkte Probandenbeteiligung bestand keine Notwendigkeit einer Ethikberatung.
Interessenkonflikte
Die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zum betrachteten Thema zu haben.
Wissenschaftlicher Kurzlebenslauf
Andreas Teske studierte an der Hochschule Furtwangen Medical Engineering (B.Sc.) und ergänzte dies durch einen Master in Gesundheitsökonomie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (MHBA). Seit September 2013 ist er am Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg als Perfusionist tätig. Schwerpunkte der klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind pädiatrische Perfusion, mechanische Kreislaufunterstützung und insbesondere die ECMO-Therapie.