Einleitung
Eine minimalinvasive Mitralklappenrekonstruktion geht mit einem kleineren Operationszugang, einer erschwerten Platzierung des Retraktors und längeren Myokardischämiezeiten einher. Jede Form der Ischämie belastet das Herz, insbesondere bei fortgeschrittenem kardialen Krankheitsgrad und weiteren Co-Morbiditäten der Patient:innen. Da es jedoch nicht für jede notwendige Herzoperation ein Verfahren ohne extrakorporale Zirkulation (EKZ) gibt, ist jeder Herzchirurg auf mindestens eine Kardioplegiemethode angewiesen. Kardioplegien wie Custodiol (CCC) oder Del Nido (DNKP) werden im Vergleich zu Blutkardioplegien intraoperativ in der Regel nur einmal appliziert [2].
Die kristalloide Custodiol-Kardioplegie hyperpolarisiert das Myokard mittels Hyponatriämie und Hypokalzämie und fungiert extrazellulär (Custodiol®, Dr. F. Köhler Chemie GmbH, Bensheim/ Deutschland). Sie findet weltweit Anwendung sowohl in der intraoperativen Organprotektion als auch im Rahmen von Transplantationen [1]. Del Nido-Kardioplegielösung depolarisiert das Myokard mittels Kalium intrazellulär [2].
Es handelt sich bei dieser Arbeit um eine retrospektive klinische Vergleichsstudie von Custodiol versus Del Nido, um festzustellen, ob die DNKP die Myokardfunktion wirksamer oder gleich gut schützt. Da es zum Zeitpunkt des Vergleichs wenig Studien zum Thema gibt, die DNKP in Deutschland kaum angewandt wird und keine verbesserte Funktion nachgewiesen ist, wird diese Untersuchung initiiert.
Material und Methoden
Operatives Vorgehen bei minimalinvasiven Mitralklappen-Operationen
Der Zugang zum Herzen erfolgte minimalinvasiv, anterolateral durch den 3. oder 4. Intercostalraum (ICR). Der Begriff minimalinvasiv ist nicht standardisiert. Für die Chirurgie an der Mitralklappe bezieht er sich im Wesentlichen auf die Vermeidung einer Sternotomie. Die Kanülierung erfolgte mittels Seldinger-Technik nach systemischer Heparinisierung und wurde durch eine transösophageale Echokardiographie verifiziert. Alle Patient:innen erhielten eine antegrade, transaortale Kardioplegie über einen langen Nadelvent. Die Mitralklappe wurde minimalinvasiv vom Chirurgen entweder direkt oder mit Hilfe einer endoskopischen Kamera eingesehen (2D oder 3D Kamera). Alle Patient:innen wurden an die Herz-Lungen-Maschine (HLM) angeschlossen, die Aorta wurde geklemmt und das Herz mittels Kardioplegie reversibel stillgelegt. Standardmäßig wurde die Kardioplegielinie bei den untersuchten Patient:innen mit dem Primingvolumen der HLM vorgefüllt. Kurz nach Anfahren der HLM wurde diese Linie mit Patient:innenblut gefüllt und anschließend in der finalen Zusammensetzung blasenfrei bis zum Patienten vorgefahren. Durch die in das Kardioplegiesystem eingebaute Heater-Einheit wurde die Blutkomponente der DNKP auf 12 °C gekühlt. Die Elektrolytmischung wurde bis zum Gebrauch bei einer Temperatur von 4–8 °C in einer Kühlbox aufbewahrt (Abb. 1).




Ein wichtiger Bestandteil der DNKP ist die Plasma Lyte A, diese wurde unter sterilen Bedingungen mit den weiteren Bestandteilen der DNKP in der hauseigenen Apotheke ergänzt. Hierbei war die Reihenfolge beim Zumischen der Elektrolyte wichtig, um ein Ausflocken der einzelnen Medikamente miteinander zu verhindern. Die DNKP wurde wöchentlich hergestellt und war bei 2–8 °C gelagert vier Wochen haltbar.
Das Perfusionsvolumen betrug beim Erwachsenen 1 ml der Lösung pro Minute und Gramm geschätztes Herzgewicht. Die Perfusionstemperatur der Custodiol-Lösung lag bei 5–8 °C. Der Perfusionsdruck betrug 100–110 mmHg bis zum Herzstillstand und wurde anschließend auf 40–50 mmHg reduziert. Varianzen in der Gabedauer sind auf die unterschiedlichen anatomischen Gegebenheiten der Patient:innen zurückzuführen. War eine zweite Applikation erforderlich, so wurde darauf geachtet, dass die Lösung wie initial 5–8 °C kalt war. Die zweite Perfusionszeit betrug 2–3 min mit dem Druck der letzten Minute der ersten Gabe.
Studiendesign
In dem Zeitraum von 02.01.2018 bis 14.07.2021 wurden alle Patient:innen mit einer minimalinvasiven Mitralklappenrekonstruktionen (MIC-MKR) mittels medizinischer Akte erfasst (n = 336) und aufgeteilt in Del Nido (n = 137) und Custodiol (n = 199)-Kardioplegie-Gruppen. Einschlusskriterien waren elektive Operationen, anterolateral operierte Mitralklappen und Volljährigkeit//volljährige Patient:innen. Um die Vergleichbarkeit der Gruppen zu gewährleisten, wurden Kombinationsoperationen, Notfälle und rezidive Eingriffe ausgeschlossen. Patient:innen mit einer präoperativ bekannten Niereninsuffizienz, einer intraoperativ durchgeführten Ablation zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen oder einer bestehenden Schwangerschaft wurden ebenfalls nicht berücksichtigt, da relevante Kontrollparameter beeinflusst werden [4]. Nach den Ausschlusskriterien wurden n = 119 Patient:innen in den retrospektiven Vergleich eingeschlossen, n = 59 Patient:innen in der Custodiol-Gruppe (CCC) und n = 60 Patient:innen in der Del Nido-Gruppe (DNKP). Außerdem wurden die demographischen Daten der Patient:innen erfasst. Ein positives Votum der internen Ethikkommission Frankfurt zum eingereichten Ethikantrag liegt vor. Geschäftsnummer: 19-446- andere Forschung erstvotierend, Beschlussnummer: E247/19).
Die zwei primären, biochemischen Kontrollparameter:
- Die Enzymfreisetzung, dargestellt durch kardiales Troponin T, Kreatinin-Kinase und Kreatinin-Kinase-MB (Muscle and Brain)- Serumkonzentration präoperativ, unmittelbar nach der Operation, 12 Stunden, 24 Stunden und 48 Stunden.
- Die echokardiografische Auswertung der linksventrikulären Ejektionsfraktion präoperativ und nach Beendigung der inotropen Unterstützung, vor der Entlassung der Patient:innen.
Sekundäre Endpunkte:
- Kardioplegievolumen
- kardiopulmonale Bypasszeit
- Aortenklemmzeit
- Bluttransfusionsbedarf
- Hämofiltrationsrate
- postoperativer Krankenhausaufenthalt mit Berücksichtigung des Euro-SCORES II


Ergebnisse
Analysiert wurde n = 119 Patient:innen, n = 59 in der CCC-Gruppe und n = 60 in der DNKP-Gruppe. Beide Gruppen sind von den demographischen Daten her vergleichbar (Tab. 3). Gravierende Unterschiede gab es in der Hämofiltrationsrate. Dabei wurden 92 % (54/59 Patient:innen) der Bretschneider-Gruppe und nur 30 % (18/60 Patient:innen) der Del Nido-Gruppe intraoperativ hämofiltriert, was auf das hohe Kardioplegievolumen der Bretschneider-Kardioplegie zurückzuführen ist. Im Durchschnitt waren Patient:innen der Bretschneider-Gruppe 14,4 Minuten länger am Bypass und hatten im Mittel eine verlängerte Aortenklemmzeit von 8,9 Minuten. Es musste nur bei 8 der 59 CCC-Patient:innen und nur bei 9 der 60 DNKP-Patient:innen intraoperativ Erythrozytenkonzentrat verabreicht werden. Der postoperative Krankenhausaufenthalt war in beiden Gruppen rund 11 Tage. Der präoperativ kalkulierte EURO-Score zur Risikobewertung lag in der Del Nido-Gruppe minimal höher, allerdings in beiden Gruppen im Bereich eines geringen Risikos (Tab. 4).










Folgende Angabe erfolgte in der Einheit Units pro Liter (U/l). Der angenommene Normwert lag bei <190 U/l [5]. Wie man im Diagramm (Abb. 2) erkennen kann, lag der Mittelwert beider Gruppen präoperativ im Normbereich. Am Operationstag stiegen aufgrund der Verletzung und Ischämie in beiden Gruppen die CK-Mittelwerte an.
Beide Patient:innengruppen waren präoperativ im CK-MB-Mittelwert normwertig. Im Vergleich zur gesamten CK war bei der CK-MB in beiden Gruppen der Peak bereits einige Stunden nach der Operation erreicht (Abb. 5).
In beiden Patient:innengruppen lag die durchschnittliche LVEF sowohl präoperativ als auch postoperativ im normalen Bereich.
Es ergab sich bei einer Aortenklemmzeit (AKZ) >90 min im gesamten CK-Verlauf ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Gruppen (Abb. 9).
Bei einer AKZ >90 min verliefen die CK-MB-Werte nicht wie bisher konstant höher in der CCC-Gruppe, sondern hoben sich am Operationstag voneinander ab (Abb. 10).
Bei dem Troponinverlauf fiel das Diagramm bei einer AKZ >90min anders aus als im gesamten Troponin T-Verlauf <90 min. Man erkennt insgesamt nicht nur deutlich höhere Werte (DNKP: 1375 pg/ml und 1468 pg/ml; Bretschneider: 1294 pg/ ml und 1253 pg/ml), sondern auch, dass der DNKP Troponin T-Wert am ersten postoperativen Tag stieg, während er in der CCCruppe fiel (Abb. 11).
Diskussion
Trotz der zunehmenden kardiochirurgischen Operationen am schlagenden Herzen bildet der reversible kardioplegische Herzstillstand immer noch die Voraussetzung für viele Operationstechniken mit unbewegtem und blutleerem Herzen. Viele kardioplegische Konzepte mit unterschiedlichen chemischen und physikalischen Eigenschaften stehen zur Verfügung [10]. Ziel ist die Protektion des Herzmuskelgewebes. Da für keine der bisher bekannten Kardioplegien eine Superiorität nachgewiesen werden konnte, gibt es keine Vorgaben, welche Kardioplegie bei welcher Operation bevorzugt werden sollte [11]. Es obliegt der Entscheidung des Herzchirurgen, welches der erprobten Verfahren angewendet wird. Mit diesem Vergleich konnte festgestellt werden, dass beide Kardioplegien das Herz bei MIC-Mitralklappenoperationen ausreichend schützen.
Das Enzym Kreatin-Kinase (Creatinkinase oder CK) kommt vor allem in der Herz- und Skelettmuskulatur vor. Es sorgt dafür, dass Energiespeicher in Form von Adenosintriphosphat (ATP) ausreichend in den Muskelzellen vorhanden sind. Wird vom ATP ein Phosphatatom abgespalten, so wird Energie für die Muskelkontraktion freigesetzt. Es bleibt das energiearme Adenosinbiphosphat mit nur zwei Phosphatatomen zurück. Die CK regeneriert das Energiemolekül, indem es ein neues Phosphat an das Molekül anbindet. Kinasen sorgen auf diese Weise für eine dauerhafte Energiebereitstellung. Werden Muskelzellen durch Überlastung beschädigt, tritt CK in großen Mengen aus den betroffenen Zellen aus. Bei der Aktivitätsbestimmung bedient man sich der Immuninhibitionsmethode, bei der eine Hemmung der CK-Untereinheit durch Antikörper erfolgt [6].
Es gab zum Zeitpunkt dieser Analyse keine vergleichbaren publizierten Studien, die die CCC- und DNKP-Kardioplegie verglichen haben. In einer Meta-Analyse aus 2023 wurden jedoch neun Artikel zu diesem Thema begutachtet. In allen Artikeln wurden ähnliche Endpunkte beleuchtet und dieselben Ergebnisse beschrieben [12].
Troponine sind wichtige Laborparameter in der Diagnose von Herzmuskelschädigung. Es gibt drei verschiedene Troponine. Die Untereinheit Troponin C bindet Calcium, das Troponin T dockt an ein weiteres Eiweiß, das Tropomyosin, an, ebenso wie das Troponin I, das sich an das Strukturprotein Aktin anlagert. Dieses Zusammenspiel ermöglicht, dass sich die Muskeln kontrahieren und relaxieren. Troponin T und Troponin I kommen in den Herzmuskelzellen vor, deshalb zählen sie zu den Biomarkern für Herzmuskelerkrankungen oder Verletzungen. Das „kardiale Troponin“ besteht aus den Untereinheiten cTnT, cTnI, TN-C. Die Untereinheit C steht für die Bindung mit Calcium, T für die Bindung mit Tropomyosin und I für die Bindung mit Aktin. Der Normwert des Trop T liegt bei <14 pg/ml. Eine Erhöhung des Wertes weist mit hoher Spezifität auf einen nekrotischen Untergang der Kardiomyozyten hin [7].
Neben den molekularbiologischen Aspekten muss auch die Herzmechanik betrachtet werden, die bei der Auswahl der Kardioplegie eine Rolle spielt. Ist die EF 50–70 %, gilt sie als normal. Eine Ejektionsfraktion (EF) unter 50 % gilt als leicht reduziert, unter 40 % als mittelgradig eingeschränkt und unter 30 % als stark eingeschränkt [8].
Eine Pilotstudie aus 2022 vergleicht beide Kardioplegien mit dem Fokus auf der Defibrillationsrate nach Öffnen der Aortenklemme. Sowohl die DNKP als auch die CCC bieten laut dieser Studie einen zufriedenstellenden Myokardschutz. Allerdings verringert die DNKP die Inzidenz von Kammerflimmern nach Öffnung der Aortaklemme [9].
Limitationen
Zu den Limitationen der Studie gehörte, dass die CCC-Lösung nicht direkt abgesaugt wurde und innerhalb von weniger als 7 min erfolgte, anders als der Hersteller in der Gebrauchsanweisung vorgibt [1]. Bei Bedarf wurde das überschüssige Volumen mittels eines Hämofilters an der EKZ abfiltriert. Hier war nicht ersichtlich, ab welchem Hämoglobinwert oder welcher Volumenmenge hämofiltriert wurde. Das antegrade und/oder retrograde autologe Priming konnte in der retrospektiven Analyse nicht eindeutig differenziert werden. Routinemäßig wurden keine präoperativen Troponinwerte bestimmt, so dass nicht klar war, wie die durchschnittlichen Ausgangswerte waren. Außerdem empfiehlt sich die Beobachtung des Troponin T (Verlauf nach Stunden) über mehr als zwei postoperative Tage aufgrund des Höhepunktes nach 12–96 Std [7]. Für den Vergleich der beiden Gruppen bei einer Aortenklemmzeit über 90 min wäre eine größere Vergleichsgruppe aussagekräftiger. Es sollte ersichtlich sein, wieviel der Aortenklemmzeit für die Gabe der Kardioplegie verwendet wurde. Es konnte in der retrospektiven Analyse nicht die Defibrillationsrate nach Öffnen der Aortenklemme evaluiert werden, dies wäre unter Berücksichtigung von präoperativen Rhythmusstörungen und der Reperfusionszeit ein interessanter Kontrollpunkt.
Schlussfolgerung
Aufgrund der diskutierten Ergebnisse kann man sagen, dass beide Kardioplegien sicher sind, mit dem Nachteil, dass die CCC-Lösung nicht abgesaugt werden kann und sich somit eine Hyponatriämie ergibt, die jedoch bei Bedarf ausgeglichen werden kann [9].
Interessenkonflikte
Es liegen keine Interessenkonflikte bei den Autoren vor.
Danksagung
Mit freundlicher Unterstützung durch das Josef Güttler Stipendium der Deutschen Gesellschaft für Kardiotechnik e. V.