EINLEITUNG
Die Hypothermie ist seit den Anfängen der Herzchirurgie ein fester Bestandteil dieser Disziplin und machte vor der Einführung der Herz-Lungen-Maschine (HLM) in den 1950er Jahren Eingriffe am Herzen überhaupt erst möglich. Die Bedeutung der Hypothermie ging in den letzten Jahren allerdings immer weiter zurück. Heutzutage wird sie primär bei Eingriffen am Aortenbogen eingesetzt, um eine Ischämie des spinalen Gewebes und der viszeralen Organe zu vermeiden. Ursache für die geringere Einsatzhäufigkeit der Hypothermie sind verbesserte Operationsverfahren mit Hilfe der HLM sowie die negativen Auswirkungen der Hypothermie auf die Patienten. Diese reichen von einer verlängerten Operationsdauer durch die Abkühlung und Aufwärmphase über eine eingeschränkte Endorganfunktion bis zu einer beobachteten intra- und postoperativen Blutungsneigung [1,2].
Paparella et al. beschreiben in ihrer Übersichtsarbeit ein Zusammentreffen von diversen unphysiologischen Zuständen, die aufgrund der extrakorporalen Zirkulation und Hypothermie zu einer erhöhten Blutungsneigung führen können [3]. Diese Kombination aus diversen Faktoren in Form von Kontaktflächenreaktionen, chirurgischen Traumata, Scherkräften und verlängerten Operationszeiten erschwerten es bisher, eine genaue Aussage über die Auswirkungen der Hypothermie während chirurgischer Eingriffe zu treffen.
Die direkten Auswirkungen der Hypothermie auf das Gerinnungssystem fallen dabei ebenfalls komplex aus. Kander et al. zeigen, dass durch die Hypothermie die Enzymaktivität abnimmt. Dies kann sowohl die Funktion der Gerinnungsfaktoren, der Thrombozyten, als auch die entsprechenden Proteine der Regelungsmechanismen schwächen [4]. ADP spielt eine entscheidende Rolle in der Aktivierung und Aggregation der Thrombozyten. Dies gilt nicht nur unter physiologischen Bedingungen, sondern auch im Falle der Hypothermie. Straub et al. gehen dabei von einer erhöhten Thrombozytenaktivierung durch Hypothermie mittels ADP aus. Dabei soll die Aktivität des Enzyms CD39(NTPDase1), das ADP verstoffwechselt, durch die unphysiologischen Temperaturen in seiner Funktion stark eingeschränkt werden. Dies soll zu einer erhöhten ADP-Konzentration und somit zu einer vermehrten Thrombozytenaktivierung führen [5]. Somit ist davon auszugehen, dass es durch die Hypothermie zeitgleich sowohl zu einer Aktivierung des Gerinnungssystems und der Thrombozyten als auch zur Einschränkung der negativen Rückkopplungsmechanismen kommen kann. Zeitgleich kann sich die verminderte Proteinkinetik auf die Proteine der Gerinnung negativ auswirken. Als Beispiel dient hierfür der von-Willebrand-Faktor (vWF), der empfindlich auf Temperaturschwankungen und Scherkrafterhöhungen reagieren soll. Die verringerte Temperatur soll dabei zu einer erhöhten Expression des vWF im Endothel führen, während die Fähigkeit, Bindungen einzugehen, abnimmt und Schäden durch die erhöhten Scherkräfte am vWF auftreten können [6].
Neben der Aktivierung durch ADP und anderer biochemischer Agonisten können die Thrombozyten durch unphysiologische Scherkräfte während der extrakorporalen Zirkulation unter Hypothermie aktiviert werden [7]. In vivo sind die Einflüsse der EKZ und des chirurgischen Traumas kaum von denen der Hypothermie zu trennen. Neben den unphysiologischen Flussbedingungen führen die Fremdoberflächen zu einer Kontaktreaktion. Das Fehlen der regelnden Wirkung des Endothels auf die Gerinnung führt zeitgleich zu einer Aktivierung von Komponenten der Gerinnungssysteme und inflammatorischer Systeme [3].
Dieses komplexe Zusammenwirken der unterschiedlichen unphysiologischen Zustände (in Form der extrakorporalen Zirkulation, chirurgischen Traumata, der Erkrankung und Hypothermie), die sich gegenseitig beeinflussen, erschwerte bisher ein genaues Verständnis der veränderten Gerinnungsabläufe. Die Hypothermie scheint dabei zumeist negative Auswirkungen auf die Gerinnung zu haben und wirkt sich sowohl auf die kaskadenförmig ablaufenden Prozesse der plasmatischen Gerinnung als auch auf die zellulären Anteile in Form der Thrombozyten aus. Aus dieser multifaktoriellen Problematik der Blutungsneigung ergibt sich schließlich die Frage über die eigentlichen Auswirkungen der Hypothermie, losgelöst von anderen Faktoren. Für ein isoliertes Betrachten müssen somit die Effekte des chirurgischen Traumas, der unphysiologischen Flussverhältnisse und Kontaktreaktionen im Zuge der extrakorporalen Zirkulation sowie die Auswirkungen der Grunderkrankung entfernt werden, um die Auswirkungen der Hypothermie auf die Gerinnung betrachten zu können. Dies wird durch den Chandler-Loop, einem in einem Wasserbad rotierenden mit Blut gefüllten Schlauchring, ermöglicht. Der Chandler-Loop soll durch normierte und reproduzierbare Flussverhältnisse die Auswirkungen der extrakorporalen Zirkulation vergleichbar machen und durch die In-vitro-Bedingungen die Effekte des chirurgischen Traumas und der Erkrankung entfernen. Das Abkühlen und Wiederaufwärmen kann dabei durch den Chandler-Loop gesteuert werden und erlaubt es somit, die Temperaturbedingungen eines Eingriffs unter Hypothermie zu simulieren. Der Vergleich mit einer Kontrollgruppe ohne Hypothermie ermöglicht es, die durch den Chandler-Loop ausgelösten EKZ-ähnlichen Reaktionen in der Auswertung zu minimieren, wodurch die Auswirkungen der Hypothermie isoliert betrachtet werden können.
In Anbetracht der beschriebenen pathophysiologischen Prozesse sollte die Hypothermie auch im In-vitro-Chandler-Loop-Modell zu einer messbar verminderten Gerinnungs- und Thrombozytenfunktion führen.
MATERIAL UND METHODEN
Impedanzaggregometrie und Thrombozytenzahl
Zur Bestimmung der Thrombozytenfunktion wurde die Impedanzaggregometrie eingesetzt (Multiplate, Roche, München). Zur Aktivierung und Beurteilung der Thrombozytenfunktion verwendeten wir den ADPtest, TRAPtest und RISTOtest. Der ADPtest führt mittels ADP zu einer Aktivierung der Thrombozyten, der TRAPtest aktivierte diese durch Thrombin und der RISTOtest ermöglichte die Aktivierung der Thrombozyten durch den von-Willebrand-Faktor mittels Ristocetin. Die Thrombozytenfunktion wird im Test als Area Under the Curve (AUC) angegeben. Die Thrombozytenzahl wurde durch eine Impedanzmessung bestimmt (ABX Micros 60 Horiba Medical, Montpellier).

Abb. 1: Schaubild der Parameter eines ROTEM
im EXTEM-Test
Thrombelastometrie
Die Analyse der Gerinnungsfunktion wurde mit der ROTEM Thrombelastometrie durchgeführt (ROTEM, Pentapharm, München). Hierfür verwendeten wir die HEPTEM-, FIBTEM- und EXTEM-Tests. Der HEPTEM-Test ermöglicht die Untersuchung des intrinsischen Weges der Gerinnung trotz Heparinisierung des Blutes. Im EXTEM wurde der extrinsische Weg der Gerinnung überprüft und im FIBTEM konnte die Funktion des Fibrinogens durch Inhibierung der Thrombozyten dargestellt werden. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel für ein Thrombelastogramm im EXTEM-Test. Gerinnselgröße und -festigkeit wurden abweichend von der Abbildung in Millimeter über der Zeit in Sekunden aufgetragen. Im ROTEM wurden die Gerinnungszeit (CT), Gerinnselbildungszeit (CFT), maximale Gerinnselfestigkeit (MCF) und die Gerinnselfestigkeit nach 10 Minuten (A10) bestimmt.
Versuchsaufbau
Die mit Blut gefüllten 1/4″ Chandler-Loops wurden in einem Schlauchhalter mit 13 Langlöchern befestigt. Angetrieben durch eine Rollenpumpe drehte sich dieser mit 30 Umdrehungen/min in einem temperierbaren Wasserbecken. Das Wasserbecken wurde dabei von einem Wasserkreislauf versorgt, der aus einem Schlauchsystem, einer zweiten Rollenpumpe als Antrieb und einem Hypothermiegerät bestand. Das Hypothermiegerät ermöglichte dabei die Temperierung des Wasserbads. Mittels eines in den Kreislauf eingebauten Wärmetauschers konnte das Hypothermiegerät das Wasserbad temperieren. Um die Wassertemperatur in den Chandler-Loops zu kontrollieren, wurde eines der Langlöcher für einen 3/8″ Schlauch mit Temperatursensor aufgebohrt. Abbildung 2 zeigt den Plan des Versuchsaufbaus.

Abb. 2: Plan des Versuchsaufbaus

Abb. 3: Versuchsaufbau
Probanden
Drei erwachsene männliche Spender über 18 Jahren konnten rekrutiert werden. Jeden der drei Probanden konnten jeweils zwei Blutproben entnommen werden. Voraussetzung für die Blutspende waren neben dem Alter > 18 Jahre, dass sie keine bekannten Gerinnungsstörungen aufweisen und in den letzten zwei Wochen vor der Blutspende keine Antikoagulanzien eingenommen haben.
Die Ethikkommission des Fachbereiches 11 Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen erteilte die Erlaubnis zur Verwendung von Blut von Erwachsenen (AZ 175/19).
Durchführung
Es wurden zwölf Chandler-Loops aus 1/4″ PVC-Schlauch mit je 12,5 ml Vollblut gefüllt und mit 3 IE Heparin/ml Blut antikoaguliert. Die Messungen wurden an fünf verschiedenen Zeitpunkten durchgeführt und je Messpunkt wurden 3 Proben entnommen. Die Basismessung stellte den Zeitpunkt T0 dar. Nach der Ermittlung der Basiswerte wurden die Chandler-Loops mit Blut gefüllt und die Rotation gestartet. Nach 30 Minuten wurden drei Proben zum Zeitpunkt T1 entnommen, analysiert und man begann mit dem Abkühlen. Der Zeitpunkt T2 wurde bei einer Temperatur von 28 °C in den Chandler-Loops erreicht. Nach einer Rotationsdauer von 60 min bei 28 °C wurden zum Zeitpunkt T3 erneut Messungen durchgeführt und mit dem Aufwärmen begonnen. Der letzte Zeitpunkt T4 wurde bei einer Temperatur von 37 °C erreicht.
Die mittlere Versuchsdauer unter Hypothermie betrug somit 198 min. In der Kontrollgruppe wurden ebenfalls an den fünf Zeitpunkten T0 bis T4 Messungen durchgeführt. Die Zeitpunkte in der Kontrollgruppe entsprachen denen in der Hypothermiegruppe, wobei hier die Temperatur während der gesamten Versuchslaufzeit konstant bei 37 °C gehalten wurde.
Messung und Auswertung
An den Zeitpunkten T1 bis T4 wurden aus drei Chandler-Loops Proben entnommen. Die Daten aller Probanden wurden anschließend für jeden Messpunkt gemittelt und für den entsprechenden Mittelwert die Standardabweichung berechnet. Die Basismessung zum Zeitpunkt T0 umfassten je Messreihe immer nur eine Messung/Probe. Somit ergab sich für die Basismessung bei drei Probanden eine Probenzahl von n = 6, da die Ergebnisse der Basismessungen aus der Hypothermie- und der Kontrollgruppe zusammengeführt und gemittelt wurden. Die Ergebnisse des HEPTEM, FIBTEM, ADPtest, TRAPtest sowie der Thrombozytenkonzentration hatten eine Probenzahl von n = 9 pro Messpunkt. Zusätzlich wurden am letzten Probanden noch ein EXTEM und der RISTOtest durchgeführt. Diese hatten pro Messpunkt eine Probenzahl von n = 3, da sie nur einen Probanden umfassten.
Statistik
An fünf verschiedenen Parametern wurde ein beidseitiger Zweistichproben t-Test durchgeführt. Dabei wurde ein p-Wert < 0,05 als signifikant angenommen. Da es sich um eine multiple Testung handelte, stieg mit jedem Test die Wahrscheinlichkeit eines Alpha-Fehlers [8]. Um dies zu begrenzen, wurde die Bonferroni-Methode angewendet. Bei dieser Methode wird das Gesamtniveau von 5 % durch die Anzahl der durchgeführten Tests geteilt. Somit ergab sich ein korrigiertes Signifikanzniveau von: p = 0,05 % / 5 Tests = p*< 0,01. Die gesamte Auswertung wurde in MS Excel durchgeführt.
ERGEBNISSE
Messungen der Gerinnungsfunktion mittels Thrombelastometrie
Für die Gerinnungsanalyse mittels Thrombelastometrie wurden charakteristische Verläufe der Parameter graphisch dargestellt.
Die A10 des FIBTEM und die Gerinnungszeit im HEPTEM (Abb. 4 und 5) zeigten eine reversible Verschlechterung der Gerinnung im Zuge der Rotation im Chandler-Loop in der Kontrollgruppe. Von Messpunkt T0 (Basismessung) zur ersten Messung nahm im HEPTEM die Gerinnungszeit deutlich zu, während die Gerinnselfestigkeit im FIBTEM deutlich abnahm. Im HEPTEM begann die Gerinnungszeit sich durch die Abkühlung deutlich zu verlängern und stieg unter Hypothermie und dem Aufwärmprozess weiterhin leicht an. Im Gegensatz dazu blieb die Gerinnungszeit in der Kontrollgruppe nach ihrem initialen Anstieg unverändert. Im FIBTEM waren wiederum keine Auswirkungen der Hypothermie zu erkennen.

Die A10 im HEPTEM und die Gerinnungszeit im EXTEM (Abb. 6 und 7) zeigten eine deutliche Auswirkung des Abkühlprozesses, die allerdings unter Hypothermie noch reversibel war. Die Gerinnselfestigkeit nahm dabei im Zuge der Abkühlung um ca. 13 % ab, während sich die Gerinnungszeit im EXTEM um 38 % verlängerte. In beiden Fällen waren solch eine Veränderung der Gerinnungsdynamik nicht in der Kontrollgruppe zu beobachten. In den Gerinnselbildungszeiten des EXTEM und HEPTEM (Abb. 8 und 9) kam es nach Beginn der Rotation zu einer kontinuierlichen Verlängerung der Gerinnselbildungszeit in der Hypothermiegruppe, während die Gerinnselbildungszeit der Kontrollgruppen in beiden Abbildungen im Vergleich relativ unverändert blieb. Eine Ausnahme stellte hier Messpunkt T3 der Kontrollgruppe dar. Die Tabellen 1 bis 3 enthalten die ermittelten Daten aus den Messungen mittels Thrombelastometrie.


Thrombozytenfunktion und Konzentration
In allen Thrombozytenfunktionstests kam es nach Beginn der Rotation im Chandler-Loop zu einem starken Abfall der Thrombozytenfunktion. Im weiteren Verlauf der Messungen war nur noch ein leichter und kontinuierlicher Abfall der Funktion zu erkennen. Ein Unterschied zwischen Hypothermie- und Kontrollgruppe war im Kurvenverlauf allerdings nicht festzustellen. Gleiches galt für die Thrombozytenkonzentration, die durch die Rotation im Chandler-Loop stark abnahm und anschließend in beiden Gruppen annährend konstant blieb. Tabellen 4 bis 5 geben die Ergebnisse der Thrombozytenfunktionstests und der Thromobozytenkonzentration an.

DISKUSSION
Diese Arbeit betrachtet erstmals die Auswirkungen der Hypothermie auf die Gerinnungs- und Thrombozytenfunktion unter Bedingungen, die der EKZ in Flussverhältnissen, Temperatur und Dauer ähneln. Dies ermöglicht einen Ausblick auf die Auswirkungen der Hypothermie auf die Gerinnungs- und Thrombozytenfunktion und bietet die Grundlage für weitere umfangreichere Untersuchungen.
Die Untersuchungen mittels Thrombelastometrie zeigten einen negativen und reversiblen Einfluss des Abkühlprozesses auf die Funktion von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren des intrinsischen und extrinsischen Weges. Die Rotation in den Chandler-Loops sowie der Fremdoberflächenkontakt führten initial zu einer deutlich größeren Veränderung der Gerinnungsfunktion als das Abkühlen im weiteren Verlauf. Exemplarisch hierfür war der Anstieg der Gerinnselbildungszeit des EXTEM um 60 % nach Beginn der Rotation in der Hypothermiegruppe. Eine Verlängerung der Gerinnselbildungszeit um 13 % konnte auch in der Kontrollgruppe beobachtet werden.
Die Ergebnisse mittels Impedanzaggregometrie zeigten ebenfalls eine massive Verringerung der Thrombozytenfunktion nach Beginn der Rotation und eine lineare Abnahme der Funktion im weiteren Verlauf. Da dies in der Hypothermie- und in der Kontrollgruppe der Fall war, ist davon auszugehen, dass die Fremdoberflächen und die durch die Rotation entstandenen Scherkräfte für den Funktionsverlust verantwortlich waren. Eine Funktionsminderung der Thrombozyten im Zuge der extrakorporalen Zirkulation ist bereits bekannt [9].
Im Falle des vWF ist unklar, ob der Anstieg der AUC durch die Wiedererwärmung ausgelöst wurde. Inwiefern die Hypothermie den vWF oder das Glykoprotein Ib (GPIb) reversibel beeinflusste, ist nicht eindeutig festzustellen. Wiederum berichteten van Poucke et al. von einer Anfälligkeit des vWF auf Abkühlungsvorgänge [6]. Die Abnahme der Thrombozytenkonzentration verhielt sich dabei ähnlich. In beiden Messgruppen kam es initial zu einem starken Abfall der Thrombozytenkonzentration mit einer darauffolgenden nahezu linearen Abnahme.
Auch wenn die verminderte Thrombozytenzahl zu einer verringerten AUC in der Multiplate Analyse führen kann, so lag hier die Konzentration immer über 50.000 Thrombozyten pro Mikroliter. Unterhalb dieses Grenzwertes wäre es zu starken Einschränkungen der Gerinnung gekommen [10]. Aus diesem Grund liegt es nahe, dass der Funktionsverlust hauptsächlich durch die mechanische Scherbelastung der Thrombozyten im Chandler-Loop hervorgerufen wurde und nicht durch die Hypothermie oder eine zu geringe Thrombozytenzahl. Der gemessene Funktionsverlust und die Abnahme der Konzentration von Thrombozyten nach Beginn der Rotation deckt sich dabei mit den Beobachtungen an der EKZ, während der es kurz nach Beginn der Zirkulation zu einer starken Abnahme der Funktion und der Anzahl der Thrombozyten kommt [3].
Dies ist ebenfalls für die Ergebnisse der Thrombelastometrie, bei denen es sich eher um einen Funktionsverlust als um einen Mangel an Thrombozyten handeln sollte, zu vermuten. Die Thrombozytenfunktion zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Gruppen. Aus den Ergebnissen lässt sich im Falle der Gerinnungsdiagnostik mittels ROTEM-Test eine veränderte Gerinnungs- und Thrombozytenfunktion vermuten, während dies aus den Ergebnissen der Multiplate-Analyse nicht abzuleiten ist. Somit ließ sich nur eine verminderte Funktion der Thrombozyten im Kontext der Gerinnung und nicht im spezifischen Funktionstest beobachten.
In beiden diagnostischen Verfahren waren allerdings deutlich die Auswirkungen der extrakorporalen Zirkulation zu erkennen. Die EKZ beeinflusste schlussendlich die Gerinnung und Thrombozyten deutlich stärker als die Hypothermie. Vergleicht man die Basismessungen mit den Referenzwerten von Lang et al. für das ROTEM und Peerschke et al. für die Multiplate-Analyse, kann man davon ausgehen, dass die Blutgewinnung und der Transport keinen Einfluss auf die Ergebnisse hatten [11,12].
Die Beobachtung, dass es im Zuge der extrakorporalen Zirkulation zu einer massiven Aktivierung der Thrombozyten, einer verminderten Funktionsfähigkeit des Gerinnungssystems sowie der Thrombozytenzahl kam, deckt sich mit der Studienarbeit von Paparella et al, in der die verschiedenen Auswirkungen der extrakorporalen Zirkulation auf die Gerinnung beschrieben werden. Die EKZ führte dabei zu einem Funktionsverlust und zur Abnahme der Thrombozytenzahl [3]. Die geschilderte eingeschränkte Thrombozytenfunktion, ausgelöst durch die Hypothermie, deckt sich wiederum nicht mit den Ergebnissen unserer Arbeit.
Die Zielsetzung, EKZ-ähnliche Versuchsbedingungen zu schaffen, verfolgten auch van Poucke et al. in ihrer Mock-Circulation-Loop-Untersuchung [13]. In diesem Versuch zirkulierte das Blut bei 28 °C in einer dafür umgebauten HLM. Im Unterschied zur vorliegenden Arbeit, verlief ihr Versuch über mehr als 30 Stunden, was für den Vergleich zu Bedingungen im HLM-Einsatz nicht sinnvoll erscheint, da es die Einsatzdauer eines HLM-Systems weit überschreitet. Zusätzlich fehlte ihnen eine Kontrollgruppe, was es erschwerte, die Auswirkungen der Hypothermie von der EKZ zu unterscheiden. Somit konnten sie die Hypothermie und ihre Effekte nicht isoliert von den anderen Faktoren beurteilen. Trotz dieser Unterschiede im Versuchsdesign erhielten van Poucke et al. in Bezug auf die Thrombozytenfunktion und Konzentration im Multiplate Analyzer vergleichbare Ergebnisse. Auch in ihren Mock-Circulation-Loop führte die extrakorporale Zirkulation initial zu einem deutlichen Abfall der Thrombozytenkonzentration mit linearem Funktionsverlust über die restliche Versuchsdauer. Ohne den Vergleich zu einer Kontrollgruppe interpretierten sie diesen linearen Abfall als Effekt der Hypothermie. Vergleicht man die Kontrollgruppe und die Hypothermiegruppe miteinander, so ist davon auszugehen, dass der Funktionsverlust durch die Zirkulation hervorgerufen wurde und nicht durch die Hypothermie. Sniecinski et al. beschrieben ebenfalls eine Abnahme der Thrombozytenzahl im Zuge der Kontaktaktivierung während der EKZ [14].
Kander et al. beobachteten, dass in der ROTEM-Analyse eine verminderte Gerinnungsfunktion nach Abkühlung auf 30 °C gegenüber 37 °C stattfand [15]. Dies deckt sich teilweise mit unseren Ergebnissen der ROTEM-Analyse, in denen es unter Hypothermie zu einer verlängerten Gerinnungszeit im EXTEM kam. Eine Abnahme der Gerinnselstärke unter Hypothermie konnte nicht beobachtet werden. Durch Kanders Studiendesign konnte allerdings keine Veränderung der Gerinnung im Verlauf der Temperaturänderung beobachtet werden, da die Blutproben auf die jeweilige Temperatur inkubiert und anschließend keiner weiteren Temperaturänderung unterzogen wurden. Zusätzlich sollte Kanders Arbeit die Auswirkungen der Hypothermie im kardiogenen Schock untersuchen. Als deutlicher Unterschied zur vorliegenden Arbeit stammten Kanders Blutproben von Patienten unter 24-stündiger Hypothermie bei 33 °C, wodurch andere Ausgangsbedingungen für die Tests mittels ROTEM gegeben waren. Die von Warren et al. beschriebene übermäßige Aktivierung des Gerinnungssystems durch Kontaktreaktionen und die daraus resultierende Abnahme von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren war in den vorliegenden Tests mittels Thrombelastometrie und Impedanzaggregometrie zu erkennen [9]. Van de Wal et al. zeigten, dass durch Hypothermie die Apoptose von Thrombozyten über den Rezeptor Glykoprotein Ibα (GPIbα) eingeleitet wird und diese anschließend abgebaut werden [16]. Dieser Mechanismus sollte allerdings weder für den Versuch noch für die extrakorporale Zirkulation von Bedeutung gewesen sein, da dies nur bei Thrombozyten beobachtet wurde, die bei 0 °C oder 4 °C in Form von Thrombozytenkonzentraten (TK) gelagert wurden. Der Vergleich zur Lagerung von gekühlten TK ist nur schwer möglich, da die Temperaturbereiche und mechanischen Bedingungen deutlich vom Chandler-Loop-Modell abweichen. Zusätzlich werden für die kalte Lagerung die TK mit Schutzmitteln versehen, um die durch Kälte induzierte Apoptose zu vermeiden [17].
Der von Straub et al. beschriebene Effekt der erhöhten Aktivierung von Thrombozyten durch ADP unter Hypothermie ist aus den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit nicht abzuleiten [5]. Dies gilt ebenso für die Vermutung aus der Übersichtsarbeit von van Poucke et al., in der sich die Hypothermie negativ auf den von-Willebrand-Faktor auswirkte, Thrombozyten unter Hypothermie schneller auf Stimulation von Agonisten reagierten und ihre Anzahl reversibel abnahm [6]. Die Reversibilität der Thrombozytenabnahme nach Hypothermie konnte in unserer Arbeit nicht beobachtet werden, da kein Anstieg der Thrombozytenkonzentration nach Wiedererwärmen auftrat. Nach Beginn der Rotation konnte nur eine irreversible Abnahme der Thrombozytenkonzentration beobachtet werden, die vermutlich unabhängig von der Hypothermie war. Stattdessen ist zu vermuten, dass sich die Thrombozyten an den Innenseiten der Chandler-Loops anlagerten.
Goodman et al. belegten die Fähigkeit der Thrombozyten, sich durch ihre Rezeptoren auf Fremdflächen zu verteilen [18].
Wolberg et al. beschrieben ebenfalls eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit der Thrombozyten unter Hypothermie. Diese zeigte sich in Form einer irregulären und verschlechterten Adhäsion sowie Aggregation unter dem Mikroskop [4]. Keiner dieser Effekte der Hypothermie war in der vorliegenden Arbeit zu erkennen. Sollten die Auswirkungen der Hypothermie auf die Thrombozyten reversibel gewesen sein, so hätte dies mit dem Multiplate Analyzer in der normalen Temperaturkonfiguration nicht erkannt werden können. Der Multiplate Analyzer führte die Messungen immer bei 37 °C durch, indem er die Blutproben 3 min lang inkubierte und aufwärmte. Sollte der Effekt der Hypothermie also reversibel gewesen sein, so war nur noch die Abschwächung der Thrombozytenfunktion durch die mechanische Belastung zu beobachten. Dies würde erklären, warum in van Poucke‘s Mock-Circulation-Loop und in der vorliegenden Arbeit in der Multiplate-Analyse keine Auswirkungen der Hypothermie auf die Thrombozytenfunktion zu erkennen waren. Dagegen trat in den anderen Arbeiten, die zur Untersuchung der Thrombozytenfunktion mikroskopische Verfahren und umfangreichere Labordiagnostik verwendeten, ein Funktionsverlust auf. Um diesen Unterschied genauer zu klären, hätte der Multiplate Analyzer auf Temperaturen von jeweils 28 °C und 37 °C eingestellt werden müssen. Wäre es dabei zu einer unterschiedlichen Thrombozytenfunktion zwischen den beiden Gruppen gekommen, dann wäre davon auszugehen, dass die Auswirkungen der Hypothermie auf die Thrombozytenfunktion reversibel waren. Da dieser Effekt zum Zeitpunkt des Versuchs nicht bekannt und der Multiplate Analyzer im klinischen Betrieb eingebunden war, wurden die Messungen wie unter normalen klinischen Bedingungen durchgeführt.
Die in den Basismessungen durchgeführten Blutgasanalysen bestätigten, dass sich die mittlere Hämoglobinkonzentration von 12,3 ± 0,6 mg/dl in einem für herzchirurgische Eingriffe normalen Bereich befand. Vergleicht man den pH-Wert von 7,29 ± 0,05 aus den Basismessungen mit den Normalwerten (7,35 bis 7,45), so wies er eine leichte Azidose auf, die allerdings noch keinen großen Einfluss auf die Enzymkinetik gehabt hätte [10].
Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit decken sich dabei teilweise mit den anderen Arbeiten, in denen die Thrombelastometrie und Impedanzaggregometrie eingesetzt wurden. Die Kontrollgruppe ermöglichte es uns, die Auswirkungen der Hypothermie neu einzuordnen. Die Verwendung des Chandler-Loops und einer Kontrollgruppe erwiesen sich als gut zu handhaben und sinnvoll in ihrer Anwendung.
LIMITATIONEN
Da die Blutgasanalyse nur als anfängliche Kontrolle durchgeführt wurde, ist der weitere Verlauf des pH-Wertes nicht bekannt. Dieser hätte durch fortlaufende Stoffwechselprozesse allerdings weiter sinken können. Eine schwere Azidose mit einem pH-Wert unter 7,1 hätte dabei zu einer deutlichen Verlängerung der Gerinnungs- und Gerinnselbildungszeit sowie einer verkleinerten Gerinnselstärke geführt [19].
FAZIT
Die Kombination der unphysiologischen Zustände während der Rotation in einem extrakorporalen System unter Hypothermie führt zu einer deutlichen Funktionsminderung sowohl der zellulären als auch der plasmatischen Bestandteile der Gerinnung. Die Hypothermie führt hierbei zu einem verlangsamten Gerinnungsprozess mit verkleinerten Gerinnseln. Im Vergleich zu den negativen Auswirkungen der extrakorporalen Zirkulation, die die plasmatische Gerinnung stärker verlangsamt und die Thrombozytenfunktion massiv einschränkt, fallen die Auswirkungen der Hypothermie weniger deutlich aus. Hierbei ist zu vermuten, dass ein Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und eine verminderte Proteinkinetik zu einer verlangsamten plasmatischen Gerinnung führen. Die durch die Hypothermie bekannte Einschränkung der Thrombozytenfunktion könnte dabei reversibel, aber dennoch in diesem Versuchsdesign nicht erkennbar sein. Diese Arbeit dient dabei als Basis für weitere Untersuchungen mit einer größeren Probandenzahl sowie einer Untersuchung der reversiblen Auswirkungen auf die Thrombozyten und erlaubt so eine zielgerichtete Untersuchung.
INTERESSENKONFLIKTE
Die Autoren erklären, dass es keine Interessenkonflikte gibt.